Zurück zu den Wurzeln: Kicken für ein friedliches Miteinander in Stuttgart
Wir befinden uns im Endspurt von Common Ground #24. Das vorletzte der 24 Straßenfußball-Events fand nun in Stuttgart statt. Stuttgart, genauer gesagt das „Straßenfußball-Festival in Stuttgart“, nimmt in der Geschichte von KICKFAIR einen ganz besonderen Platz ein. Jetzt setzten die Jugend-Orga Teams aus Stuttgart und Ostfildern die lange Tradition fort.
Fragt man die Youth Leader, wie sie zu KICKFAIR gekommen sind und was sie motiviert hat, sich im Straßenfußball zu engagieren, so spielt das Erlebnis ihres jeweils ersten Festivals in Stuttgart oft eine entscheidende Rolle. „An die genauen Details, wie ich zu KICKFAIR kam, erinnere ich mich nicht mehr, dafür aber umso mehr daran, wie ich mich bei meinem ersten Besuch des KICKFAIR Festivals in Stuttgart fühlte…“, beschreibt es Youth Leader Maren in ihrer Biografie. Ähnlich war es bei Youth Leader Gabriel: „In der 7. Klasse fing mein neues Leben in Deutschland erst richtig an. Denn genau zum Schuljahresbeginn fand das jährliche KICKFAIR-Festival in Stuttgart statt und es sollte für mich ein ganz besonderes Erlebnis werden…“
KICKFAIR hat seine Wurzeln in der Region Stuttgart. Doch die weltweite Bewegung des Straßenfußballs, aus der auch die besondere Spielweise der drei Halbzeiten hervorging, begann vor genau 30 Jahren mit einem Eigentor bei der Fußballweltmeisterschaft. Wie genau es dazu kam, erklärt der folgende Exkurs in die Geschichte des Straßenfußballs.
Es ist das Jahr 1994. In den USA findet die Weltmeisterschaft statt. Andrés Escobar aus Medellín ist Kapitän der kolumbianischen Nationalmannschaft und führt sein Team ins Turnier. Der Druck auf die Mannschaft ist enorm hoch. Der Kampf gegen den Drogenschmuggel und das organisierte Verbrechen hatte in Kolumbien einen blutigen Höhepunkt erreicht. Über 5.000 Jugendliche wurden 1994 in den Straßen Medellíns ermordet. Alle Hoffnungen und Sehnsüchte der Bevölkerung liegen auf der Nationalmannschaft.
Gleich im ersten Spiel verliert Kolumbien gegen Rumänien. Nach dem Spiel gibt es Morddrohungen gegen die Spieler. Der Sohn eines kolumbianischen Verteidigers wird entführt. Am 22. Juni 1994 spielt Kolumbien dann gegen die USA. 94.000 Zuschauer sind im Stadion. Kolumbien muss das Spiel auf jeden Fall gewinnen, um weiterzukommen. In der 35. Minute passiert es: Andrés Escobar fälscht einen gegnerischen Pass ins eigene Tor ab. Kolumbien verliert das Spiel mit 2:1 und scheidet aus der WM aus.
Es ist ein Eigentor mit tragischen Folgen. Am 2. Juli 1994 wird Andrés Escobar in Kolumbien ermordet – wegen seines Eigentors. Sechs Schüsse beenden am frühen Morgen sein Leben auf dem Parkplatz vor einer Bar. „Tooor“ soll der unbekannte Schütze bei jedem Schuss gerufen haben.
1996, zwei Jahre nach dem Mord an Andrés Escobar, startet in Medellín ein erstes Straßenfußball-Projekt. „Fußball für den Frieden“ ist das Motto. Die Leidenschaft, die der Fußball entfesseln kann, soll hier in friedliche Bahnen gelenkt werden. Das Projekt lädt Straßenbanden aus Medellín ein, gemeinsam Fußball zu spielen.
Die Regeln, die gelten sollen, erregen jedoch einiges an Aufsehen. Es sollen immer zwei Frauen mitspielen. Eine von ihnen muss das erste Tor schießen. Außerdem zählen nicht nur die Tore, sondern auch faires Spiel. Diese Regeln sind für die Bandenchefs zunächst undenkbar. Dennoch kommt es zu einem ersten Treffen. Fast kommt es wieder zu Gewalt, doch am Ende geht zum Glück alles friedlich aus.
Immer mehr Viertel von Medellín schließen sich dem Projekt an. Nach einem Jahr sind es 1200 Teams und 12.000 Spieler*innen, die mitspielen. Das Projekt in Medellín wird zum Vorbild für viele Projekte weltweit – auch für KICKFAIR.
Nach den akribischen Vorbereitungen der letzten Monate ist es endlich soweit: Jugendliche, die sich bereits seit längerem mit dem KICKFAIR Ansatz arbeiten, stellen das Event im Rahmen von Common Ground #24 auf die Beine. Eingeladen haben sie dafür 120 Kinder und Jugendliche aus ihren fünf und fünf weiteren Schulen in der Region. Sie bringen dabei 120 Kinder und Jugendliche aus zehn Schulen zusammen. Das Ziel der Jugend-Orga Teams für diesen Tag ist klar: Auch die Jüngeren sollen Teil der globalen Straßenfußball-Community werden. Auch sie sollen dieses besondere Zusammengehörigkeitsgefühl erleben, das weltweit schon so viele junge Menschen vor ihnen inspiriert hat – damit auch sie Lust bekommen, sich gemeinsam im Straßenfußball zu engagieren und zu verstehen, dass es dabei um viel mehr geht als nur ums Kicken: Um die Mitgestaltung eines demokratischen und friedlichen Miteinanders über Schul- und Landesgrenzen hinweg.
Natürlich wird auch heute wieder in gemischten Teams gespielt. Schon beim ersten Icebreaker zu Beginn ist die Vorfreude zu spüren. Dann wird es spannend: Klappt alles mit der Teamaufteilung? Wie funktionieren die Abläufe zwischen Turnierleitung, Mediation und Teambegleitung? Nach kurzer Nervosität dann das Aufatmen im Jugend-Orga Team: Die Pläne scheinen aufzugehen, das Turnier läuft. Auf den Courts wird gespielt und gelacht. Die Stimmung ist ausgelassen und die Anspannung des Morgens ist verfolgen.
Was dabei deutlich wird: Ob es nun in Stuttgart ist oder an einem anderen Ort in Deutschland oder auf der Welt, spielt keine Rolle. Der Straßenfußball sorgt für Spaß, Begegnung und Austausch. Er verbindet. Man spürt: Hier ist jeder willkommen und fühlt sich wohl. Genau das hat Straßenfußball-Organisationen aus aller Welt, darunter auch KICKFAIR, bereits 2008 dazu bewogen, ein globales Netzwerk zu gründen: Football-Learning-Global (FLG). Diese internationale Verbundenheit zeigt sich auch heute. Neben den vielen jungen Menschen ist heute auch Danielle vom Peres Center for Peace, das ebenfalls Teil von FLG ist, mit dabei.