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Youth Leader Biografie: Ayaz

„Als Youth Leader erlebe ich, wie gerade die kleineren Jungs unbedingt gewinnen wollen und zum Teil sehr grob miteinander umgehen. Dabei erkenne ich mich selbst in ihnen wieder, als ich bei KICKFAIR anfing. Ich erzähle ihnen von meinen Erfahrungen und frage sie, was ihnen das Beleidigen bringt. Dann versuche ich ihnen zu helfen, Dinge anders zu klären. Das klappt tatsächlich ziemlich gut.“

Ich spiele Fußball seitdem ich denken kann. Damals, als ich ganz klein war und noch in Syrien lebte, spielte ich immer mit meinem Vater und später auch mit meinen Geschwistern. Das veränderte sich auch nicht, als wir nach Deutschland kamen. Abends wurde immer gekickt. Alles andere war dafür komplett neu: Die Schule, die Menschen, die Abläufe, alles war total anders als noch in Syrien. Hier ist es viel organisierter und die Schule bietet viel mehr an. In Syrien würde niemand auch nur auf die Idee kommen, Sportsachen mit in die Schule zu nehmen. Als ich die ersten Male mit meinen Mitschülern für den Sportunterricht in den Umkleideraum kam, wusste ich gar nicht, was ich machen soll. Heute lache ich darüber, aber damals habe ich es einfach nicht verstanden. An der Möser Realschule kam ich anfangs erstmal in die Deutschlernklasse. Genau wie Saber, der heute nicht nur einer meiner besten Kumpels ist, sondern auch bei KICKFAIR immer an meiner Seite war und bis heute ist.

Wir hörten von KICKFAIR und gingen sofort hin. Dabei hatten wir erstmal nur eines im Kopf: Fußball. Wir wollten spielen wann immer es ging. Damals wusste ich nicht, dass man als Jugendlicher auch in einem Verein spielen kann. Das ganze Vereinskonzept existiert in dieser Form in Syrien gar nicht. Also war KICKFAIR für mich erstmal eine Gelegenheit, um Fußball zu spielen.
In der KICKFAIR AG wurde dann aber zunächst immer sehr viel gesprochen. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch fast kein Deutsch konnte, habe ich erst gar nicht so richtig verstanden, was da passiert. Ich erinnere mich noch daran, wie ich einfach nur Fußball spielen wollte und wie froh ich war, als es dann endlich los ging. Dass es im Spiel mehr um das Miteinander geht, als darum, möglichst viele Tore zu schießen und in den Besprechungen um gemeinsame Regeln, das war mir am Anfang noch nicht so klar.

So richtig verstanden habe ich es erst, als wir zum Festival nach Stuttgart eingeladen wurden. Wir freuten uns wahnsinnig darauf und ich war sehr stolz, dass ich mitfahren durfte. Letztlich war die Zeit in Stuttgart sogar noch besser, als wir sie uns vorgestellt hatten. Ich nahm an, dass wir dort als Schulteam hinfahren und gegen andere Schulen antreten würden. Doch vor Ort wurden wir alle gemischt und ich spielte mit Jugendlichen aus vielen anderen Orten in Deutschland zusammen. Und dabei wurde mir klar: Es geht gar nicht ums Gewinnen, sondern darum, gemeinsam Spaß zu haben – als Team. Für mich ist das ein entscheidender Unterschied bei KICKFAIR. Es geht ums Miteinander, nicht ums Gegeneinander. Mit der KICKFAIR Spielweise ist es egal, wie gut man Fußball spielt. Wichtig ist, dass alle mitspielen können und sich freuen. Natürlich wird es auch mal etwas ernster und ich gehe nach vorne, um ein Tor zu schießen, aber der Spaß steht immer im Vordergrund.

Ich kam jede Woche zur KICKFAIR AG und verinnerlichte die Spielweise. Irgendwann kam dann unser Lehrer Herr Kramer auf Saber, mich und Ugur, einen anderen sehr guten Freund von mir, zu. Er fragte uns, ob wir mit an die benachbarte Friedensschule kommen wollten. Er hätte dort auch eine KICKFAIR AG gestartet und bräuchte uns als Teamer. Natürlich hatten wir Lust! Die Kids dort kannten KICKFAIR noch nicht. Gerade die kleineren Jungs wollten dort auch unbedingt gewinnen und waren zum Teil sehr grob miteinander. In den Jungs erkenne ich mich selbst wieder, als ich mit KICKFAIR angefangen habe. Ich erzähle ihnen von meinen Erfahrungen und frage sie, was ihnen das Beleidigen bringt. Dann versuche ich ihnen zu helfen, Dinge anders zu klären. Das klappt tatsächlich ziemlich gut.
Vor den letzten Sommerferien organisierten wir unser bisher größtes eigenes Turnier an der Schule. Es waren wirklich alle dabei und wir hatten eine grandiose Zeit. Mir wurde hinterher immer wieder gesagt, wie gut ich den Überblick behalten und Struktur reingebracht habe. Seit ich aus eigener Erfahrung weiß, wie bedeutend die Besprechungen sind, war es in meinen Augen auch wichtig, dass die Zeiten für die Vor- und Nachbesprechungen eingehalten werden, damit niemand warten musste. Darauf passte ich ein wenig auf. Mehr war es eigentlich nicht.

Irgendwie passiert mir das aber immer wieder, dass mir andere Verantwortung geben wollen.
Wie zum Beispiel bei der Wahl zum Schulsprecher. Ich war bereits Klassensprecher – einfach nur, um es einmal auszuprobieren. Plötzlich wurde ich von anderen überredetet, mich als Schulsprecher vorzustellen. Ich selbst habe mir das erst gar nicht zugetraut, auch weil ich Deutsch noch nicht perfekt beherrschte. Aber bei der Vorstellung gab ich trotzdem mein Bestes – und wurde gewählt. Manchmal frage ich mich, warum das so ist. Vielleicht weil ich immer ehrlich bin. Vielleicht trauen mir andere aber auch mehr zu, als ich mir selbst. Genau wie bei KICKFAIR.

Zum Abschluss der Sprachlernklasse stand für mich das Deutsch Diplom an. Dazu gehörte auch eine mündliche Prüfung. Die Aufgabe: Ein Thema vorstellen in dem man sich gut auskennt. Viele sprachen über Fußball, Cristiano Ronaldo oder Autos, ich stellte KICKFAIR vor. Unsere Spielweise hatte ich schon so oft erklärt, dass es mir sehr leicht viel. Für meinen Vortrag bekam ich tatsächlich eine Eins. Mein Deutsch wurde immer besser und so fiel es mir auch nicht schwer, meine erste Bewerbung zu schreiben – für ein Praktikum beim Zahnarzt.
Obwohl ich am Anfang etwas unsicher mit meiner Entscheidung war, wollte ich mich gut anstellen und einbringen. Viele der Patient*innen der Praxis sprachen nur sehr wenig Deutsch und wirkten durchaus nervös bei ihren Zahnarztterminen. Da ich Kurdisch und Arabisch spreche, konnte ich ihnen alles genau übersetzen und erklären. Es war ein tolles Gefühl eine Aufgabe gefunden zu haben, durch die ich meine Kolleg*innen tatkräftig unterstützen konnte.

Genau diese Erfahrung kannte ich ja schon von KICKFAIR: Alle haben Fähigkeiten, die gleichermaßen wichtig sind, um gemeinsam etwas bewegen zu können. Im Praktikum waren das zum Beispiel meine Sprachkenntnisse. Die bringe ich auch in unserer KICKFAIR-Pausenliga ein, die wir seit einer Weile organisieren. Da kommen immer wieder auch junge Schüler*innen dazu, die, wie ich damals, in die Sprachlernklasse gehen. Es macht mir große Freude, dass ich mit meinen Muttersprachen und KICKFAIR-Erfahrungen vielen Kids weiterhelfen kann und mit KICKFAIR dazu beitrage, dass sie sich wohlfühlen. Genau das war für mich am Anfang auch enorm wichtig.

Ich mache mir derzeit viele Gedanken über meine Zukunft. Manchmal bin ich mir sicher, dass ich Lehrer werden möchte. An anderen Tagen überlege ich, ob ich Apotheker werden sollte. In jedem Fall möchte ich später eine Tätigkeit ausüben, in der ich anderen Menschen helfen und ihnen etwas mitgeben kann. Mein nächstes Ziel ist das Abitur. Für den schnellsten Weg zum Abitur hätte ich ab der siebten Klasse neben Englisch bereits eine zweite Fremdsprache lernen müssen. Zum Beispiel Französisch. Damals begann ich allerdings erstmal Deutsch zu lernen. Ich werde hoffentlich trotzdem einen Weg finden, auch wenn es ein Jahr länger dauert. Eine Sache ist allerdings sicher: Bei KICKFAIR engagiere ich mich auch weiterhin. Gemeinsam mit Saber und Ugur möchte ich erreichen, dass sich alle Kids genauso auf die KICKFAIR Aktivitäten freuen, wie ich es tue.

Vor ein paar Monaten waren wir gemeinsam beim deutschlandweiten Youth Leader Camp in Leipzig. Es war herrlich. Ich fühlte mich total wohl, denn wir hatten durch unsere Erfahrungen bei KICKFAIR dort alle viel gemeinsam. Wir besuchten auch ein Deutschland-Spiel im Stadion. Das werde ich nie vergessen. Es war mein erster Stadionbesuch. Die Kids an der Friedensschule konnten es auch kaum glauben. Bei KICKFAIR kann man vieles erleben, das sonst kaum denkbar erscheint. Und das spornt die Kids an: Man muss nicht viele Tore schießen, um erfolgreich zu sein. Meine Erkenntnis mit KICKFAIR ist: es geht ums Kollektiv – und dass es allen gleich gut geht. Deswegen bin ich mit KICKFAIR ruhiger und gelassener geworden.

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