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Youth Leader Biografie: Mouhamed

„Jeden Morgen stehe ich vor Sonnenaufgang auf, der Tag beginnt bei mir mit dem Morgengebet. Das Gebet gibt mir Kraft für den Tag. Danach nehme ich mir Zeit, um in Ruhe einen Kaffee zu trinken – den gibt´s natürlich nur, wenn nicht gerade Ramadan ist. Kraft für den Tag brauche ich im Moment recht viel, denn nachdem ich meine letzten Prüfungen an der Uni hinter mir habe, schreibe ich jetzt meine Bachelorthesis. Parallel dazu bewerbe ich mich. Neben Kraft brauche ich dafür eine gehörige Portion Eigenverantwortung und eine gute Selbstorganisation. Genau diese Dinge habe ich mir bereits lange vor meinem Studium angeeignet. Gerade jetzt, wo ich stark davon profitiere, wird mir bewusst, wie wichtig mein langjähriges Engagement bei KICKFAIR für mich ist.“

Ich erinnere mich noch genau, wie alles für mich anfing: Damals war ich in der 7. Klasse und hatte nur Kicken im Kopf. Als ich KICKFAIR hörte, war ich natürlich sofort dabei. Deshalb ging ich auch zu einem Treffen, das ältere Jugendliche für uns Jüngere organisierten, um Nachwuchs zu gewinnen. Ich hatte keine Ahnung, welchen Weg ich mit diesem ersten Schritt beginnen würde.

Mir wurde schnell klar, dass KICKFAIR weit mehr ist, als nur Kicken. Die Älteren überzeugten uns mit ihrer Begeisterung und schon bald war auch ich Feuer und Flamme. Das lag vor allem daran, dass wir schnell anfingen, eigene Straßenfußball Angebote an unserer Schule auf die Beine zu stellen. Als Jugend-Orga-Team wurden wir unzertrennlich und fühlten uns sehr wohl. Ganz besonders fand ich, dass wir im Team die Aufgaben richtig gut verteilten. Alle konnten ganz ohne Druck unterschiedliche Rollen ausprobieren und dabei rausfinden, was uns jeweils Spaß macht und liegt. Es klingt fast etwas verrückt, aber es fühlte sich nie wie Schule oder Arbeit an, sondern wie etwas Eigenes, für das man gerne in der Freizeit etwas tut. Wir waren bis in die Haarspitzen motiviert. Genau dieses Gemeinschaftsgefühl und diese Zusammengehörigkeit, die wir alle spürten, machen KICKFAIR für mich aus.

„Diese Anerkennung und Wertschätzung waren für mich sehr besonders.“

Wenn ich heute so zurückdenke, erinnere ich mich an zwei für mich ganz besondere Ereignisse in Schwäbisch Gmünd. Zum einen unser eigenes Festival auf nagelneuen Straßenfußball-Courts mit Teams aus anderen Standorten. Da kamen sogar der Schwäbisch Gmünder Bürgermeister und Fredi Bobic dazu. Ein großes Event mit vielen Gästen und prominenten Unterstützer:innen in aller Öffentlichkeit durchzuführen war aufregend und die Wertschätzung und Anerkennung unvergesslich.

Ein zweiter, wirklich einschneidender Moment war, als wir 2015 gefragt wurden, ob wir auch Turniere mit jungen Geflüchteten organisieren könnten. Für mich war das eine Herzensangelegenheit. Meine Eltern sind vor meiner Geburt aus dem Libanon nach Deutschland geflohen. Ich bin also in Schwäbisch Gmünd geboren. Allerdings besaßen meine Eltern, meine sieben Geschwister und ich lange Zeit nur temporäre Aufenthaltsgenehmigungen. Offiziell waren wir staatenlos. Unterschwellig dachte ich irgendwie immer, mir nichts zu Schulden kommen lassen zu dürfen und beweisen zu müssen, dass ich hierhergehöre. Erst mit 18 Jahren erhielt ich den deutschen Pass. Bis heute habe ich ein Gefühl tief in mir drin, dass ich auf diesen Pass aufpassen muss.

Deswegen konnte ich mich damals auch sehr gut in die jungen Menschen hineinversetzen, die gerade neu in Deutschland ankamen und wusste sofort: Der Straßenfußball, wie wir ihn bei KICKFAIR spielen, ist das Beste was man tun kann, damit junge Menschen Spaß haben und sich zugehörig fühlen können. Es ist nicht nur das Kicken, sondern wie wir es tun. Denn es ist wirklich egal, wer du bist und wo du herkommst. Hier sind alle willkommen.

Das erlebe ich nicht immer als selbstverständlich. Meine Familie und mein Glaube sind mir wichtig. Ein großer Teil meines Lebens ist islamisch geprägt. In meinem Alltag komme ich immer wieder in Situationen, in denen ich das Gefühl habe, mich deswegen rechtfertigen zu müssen. Umso schöner und wertvoller: Bei KICKFAIRspüre ich keinen Druck, mich in einer gewissen Weise verhalten zu müssen. Hier geht es ausschließlich um unsere Persönlichkeiten und Gemeinsamkeiten. Wir begegnen uns alle auf Augenhöhe. Darum fühle ich mich hier so wohl und aufgenommen. Durch KICKFAIR habe ich gelernt, mich aus meiner „Bubble“ herauszutrauen. Ich habe das Gefühl, dass mir die Welt offensteht. Ich lasse mich von Rückschlägen nicht verunsichern, denn ich spüre großen Rückhalt von allen Seiten.

„Bei KICKFAIR habe ich meine Talente entdeckt.“

Wenn man Lust hat und Eigeninitiative zeigt, ist bei KICKFAIR fast alles möglich. Das habe ich für mich an unterschiedlichen Stellen gemerkt. Durch die positiven Erfahrungen aus all den Dingen, die wir selbst in die Hand genommen und organisiert haben, ist mein Selbstbewusstsein enorm gestärkt. Menschen in meinem Umfeld haben meine Talente und Potenziale erkannt. Aber wichtiger noch, ich selbst habe im Laufe der Jahre entdeckt, was ich gut kann. Schon früh hatte ich großen Spaß an der Moderation von Veranstaltungen. Bei KICKFAIR bekam ich viel Unterstützung, mich darin immer wieder auszuprobieren und weiterzuentwickeln. Bei einem Camp mit Youth Leadern aus ganz Deutschland habe ich sogar schon eine Veranstaltung mit fast 100 Mitarbeiter:innen von adidas moderiert. Diese Erfahrungen und die damit verbundene Wertschätzung haben mich als Mensch wachsen lassen. So sind es nicht mehr nur Begriffe auf einem Papier in meinen Bewerbungsschreiben, sondern echte Kompetenzen wie Organisations-, Moderations- oder Präsentationsfähigkeiten sowie Werte und Haltungen, die ich selbst in mir spüre und in unterschiedlichen Bereichen meines Lebens als wertvoll erlebe. Diese Erfahrungen haben mich immer wieder angetrieben, mehr Verantwortung übernehmen zu wollen.

Seit einigen Jahren bin ich nun schon als Youth Leader an KICKFAIR Standorten in ganz Deutschland unterwegs. Jede Möglichkeit, eine neue Stadt und die vielen jungen Menschen vor Ort kennenzulernen, bleiben bis heute echte Highlights für mich. Ich gebe Workshops an Schulen und unterstütze die neuen Jugend-Orga-Teams bei ihren Aktivitäten. Es macht mich sehr glücklich, wenn die Kinder und Jugendlichen in den Workshops Spaß haben und ich ihnen etwas mitgeben kann. Dabei geht es natürlich um den Straßenfußball, aber auch um das Zusammenleben in Vielfalt, sich gegenseitig besser kennenzulernen, mehr Verständnis zu entwickeln und sich dadurch zugehörig zu fühlen. Ich verstehe die Unsicherheiten vieler Jugendlicher, denn ich kenne den Druck, dem viele von ihnen ausgesetzt sind, aus meinem eigenen Leben. Wenn ich den Schüler:innen von meinen eigenen Erfahrungen erzähle, hören sie mir konzentriert zu. Erst neulich erzählte mir eine Lehrerin erstaunt, dass sie ihre Klasse gar nicht wiedererkennt. So aufmerksam hätte sie die Jugendlichen noch nie erlebt. So etwas zu hören, fühlt sich natürlich sehr gut an. Gleichzeitig macht es mir einmal mehr bewusst, welche besondere Verbindung zwischen uns allen bei KICKFAIR besteht. Durch unsere Gemeinsamkeiten können sich viele Jugendliche mit mir identifizieren. Ohne es zu merken, bin ich in eine Vorbildrolle reingewachsen. Das macht mich stolz. Gleichzeitig weiß ich um die Verantwortung, die es mit sich bringt und die ich sehr gerne übernehme.

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